Raum – Zeit – Gefüge

Beata Obst rückt in ihren figurativen Werken thematisch den modernen Menschen in den Fokus ihrer künstlerischen Betrachtung.

Anke Schmich, 2012.01

Die spezielle Platzierung der Figuren auf dem Bildträger und die daraus resultierenden Erzählstrukturen innerhalb der Bildräume tragen zur Verfremdung der Bildelemente bei, die in ihren Ölgemälden auf Leinwand oder Holz eigenwillig hervortreten. In ihren Serien wählt die Künstlerin neben traditionellen Porträtansichten vorzugsweise ungewöhnliche Perspektiven: Draufsichten, die schon fast zur Vogelperspektive geraten, Spiegelungen, Doppelungen, Wiederholungen in unterschiedlichen Maßstäben, Reihungen oder unnatürliche Kippungen der Figuren im Raum in nicht näher definierten, oft durch grelles Weiß steril wirkenden Bildräumen. 

Die Coolness und die emotionale Distanz der Figuren zum Betrachter resultieren auch aus dem Wechselspiel der sorgsam gewählten Nuancen zwischen Schwarz und Weiß und dem akzentuiert gesteuerten Einsatz provokativer Neonfarben. Die Konzentration auf vorzugsweise nur eine menschliche Figur, die dem Betrachter oftmals frontal entgegen tritt, führt zur Isolation der von ihr dargestellten, modernen Menschen, lassen deren Bezüge zur Umwelt oder zu anderen Menschen im Unklaren.

Nicht immer sind die Gesichter in ihrem Gesamtœuvre klar als Hauptmotiv thematisiert. Öfter findet man sie durch Haare oder Kopfbedeckungen ganz oder teilweise verhüllt, durch schrille Brillen verfremdet oder durch diffuse Weichzeichnerei verschattet. Diese geschickte Verhüllung  der Gesichter in einigen Werken trägt dazu bei, dass der Betrachter nur sehr minimierte Einblicke in die Charaktere der Figuren erhält. Er ist somit aufgefordert, sich aufgrund der Körperhaltung und Gestik selbst ein Bild von der dargestellten Person zu formen.

Gerade die ungewöhnlichen Posen verraten einen gewissen Rückzug aus einer idealisierten Scheinwelt, unterstreichen die introvertierten Züge der Charaktere, verweisen eventuell auf einen Hang zur meditativen Rückbesinnung auf innere Werte, die dem Betrachter hier absichtlich auf den ersten Blick verborgen bleiben und die er sich selbst erschließen muss. Die gleichwohl bewusst intendierte Verschleierung der Charaktere verleiht diesen Personen eine gewisse „Entrücktheit“, lässt sie isoliert und unwirklich erscheinen wie hippe Modemodels in der abstrakten Welt eines exklusiven Warenkatalogs. Als Individuen erscheinen sie in der motivisch reduzierten Malerei eigenständig in einem nicht näher definierten Raum-Zeit-Gefüge. 

Beata Obst inszeniert in ihren Werken den Menschen in seiner ihm eigenen ästhetischen Erscheinung.Das pure Weiß zahlreicher Hintergründe fokussiert dabei die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die stille Präsenz der dargestellten Person. Enigmatisch  bewegen sich die Figuren in einer Atmosphäre unterkühlter Sinnlichkeit. Die Top-Shot-Perspektive, also die direkte Aufsicht auf den Körper von oben, lässt beispielsweise nur den Blick auf einen weiblichen Rücken zu, unter dem sich durch die extrem zusammengekauerte Körperhaltung alle Extremitäten und sogar der Kopf verbergen, welches die Unmöglichkeit der Zuordnung zu einer realen Person zur Folge hat. 

Allerdings ist die Option eines Wiedererkennens in diesen Werken primär auch nicht intendiert, um eine emotionale Identifikation des Betrachters mit der dargestellten Person zu ermöglichen. Die hyperrealistische, körperbezogene Malerei präsentiert sich im Œuvre der Künstlerin in extremer atmosphärischer Verdichtung und betont ihre poetisch anmutende Wirkung.

Anke Schmich
Kunsthistorikerin